Bildung und Corona-Pandemie

Bereits im Frühjahr 2020, als die Corona-Pandemie auf ihrem ersten Höhepunkt war, wurde vor einer zweiten und stärkeren Welle im Winter gewarnt. Zeit genug, um Schulen auf diese Welle vorzubereiten und gemeinsam ein tragfähiges Konzept für den Distanzunterricht zu entwickeln, das alle Schüler*innen im Blick hat. Lange Zeit passierte nichts. Die Ansteckungsfähigkeit von Kindern wurde sehr lange vernachlässigt, teilweise wurde das Gegenteil behauptet. Mittlerweile gibt es einige Studien, insbesondere aus Großbritannien und Österreich, die alarmierend sind. Massentests an Bremer Schulen zeigen, dass Kinder und Jugendliche nicht seltener infiziert werden als Erwachsene. Ein Impfstoff für Kinder ist ebenfalls nicht in Sicht. Mit Beginn der zweiten Welle verbreitete sich Hektik. Die verantwortlichen Bildungs- und Sozialminister*innen ließen wissen: „Kitas und Schulen sollen so lange wie möglich offen bleiben und nach einem Shutdown schnell wieder öffnen.“ Für die Ministerpräsidentin aus Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, sind Eltern, die ihre Kinder schützen wollen, ängstlich. Und es ist ein Grüner Ministerpräsident, der als erstes aus dem Konsens einer längeren Schulschließung ausbricht. Allerdings nicht im Interesse der Kinder, sondern damit die Eltern schnell wieder der Wirtschaft zur Verfügung stehen. Entsprechend sind auch die Konzepte zur Beschulung in der Krise. An einer strikten Benotung von Leistungen wird festgehalten. Anstatt unseren Kindern jetzt Schlüsselkompetenzen, auch die Nutzung digitaler Medien gehört heutzutage dazu, zu vermitteln, wird nach Schema-F fortgefahren. Abschlussklassen werden, trotz Infektionsrisikos, in die Schulen geschickt. Über die Aussetzung von Leistungsbewertungen und Prüfungen muss dringend nachgedacht werden. Diese verstärken zum jetzigen Zeitpunkt die soziale Ungerechtigkeit. Bis zu den Sommerferien ist der Lehrstoff nicht mehr schaffbar. Für dieses Schuljahr und auch für die Zukunft gilt: Entschlackt den Lehrstoff und passt die Lehrpläne an.

In Online- Kursen werden gescannte Arbeitsblätter eingesetzt. Audio-visuelle Angebote sollen nicht stattfinden, damit die Server nicht in die Knie gehen. Wir hatten immerhin ein halbes Jahr für den Aufbau der entsprechenden Infrastruktur Zeit. Viele Schulen, viele Lehrer*innen fühlen sich von den Bildungsmister*innen und der Bildungsverwaltung im Stich gelassen und gestalten eigene und sehr gute Angebote. Sie zeigen mit ihrem Engagement, dass andere Bildung möglich ist. Die Erkenntnisse, die aus diesen – aus der Not geborenen aber dennoch innovativen – Angeboten entstehen, müssen anderen Schulen zur Verfügung gestellt werden. Dazu bedarf es der Unterstützung durch die Bildungsverwaltungen. Räume für die Vernetzung in und zwischen Schulen müssen geschaffen werden, dabei muss es auch eine Vernetzung mit außerschulischen Partner*innen geben.

Positive Dinge aus dem Distanzlernen müssen in die Postpandemiezeit mitgenommen werden. Diese Dinge müssen nicht immer mit Digitalisierung zu tun haben. Kinder lernen besser, wenn sie nicht um 7.30 Uhr anfangen und wenn sie sich den Lernstoff frei einteilen können. Selbstorganisiertes Lernen und Arbeiten in Kleingruppen müssen stärker im Blickfeld sein.

Damit alle Kinder entsprechend Zugang zu Bildung bekommen, schulischer und außerschulischer, müssen jetzt Anstrengungen unternommen werden, um alle Familien, die entsprechenden Bedarf haben, mit digitalen Endgeräten und einem schnellen Internetzugang auszustatten. Für Empfänger*innen der Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket sollte ein Druck- und Kopierkostenzuschuss zur Verfügung gestellt werden.

Die Kontakte der Kinder untereinander, egal ob Kita oder Schule, und deren Familien müssen gefördert werden. Im digitalen Raum sind deshalb viele Erzieher*innen, Sozialpädagog*innen und Lehrer*innen unterwegs und unterbreiten entsprechende Angebote. Diese Angebote müssen eine entsprechende Unterstützung und Würdigung erfahren. Auch hier gilt es, die vielen guten Beispiele zu sammeln und an andere weiterzugeben. Besonders der Aufbau einer digitalen Infrastruktur für Kitas wurde verpasst. Die Möglichkeit, die Corona-Pandemie als Chance für die Digitalisierung zu verstehen und zu nutzen, wurde leider nicht wahrgenommen. Gerade jetzt ist eine ausreichende digitale Ausstattung von Kitas unverzichtbar. Dadurch werden regelmäßige digitale Kontakte zu Kindern und deren Familien möglich, Bildungsmaterialien oder allgemeine Informationen wären für Familien schnell zugänglich. Damit würde der Alltag der Familien erleichtert werden. Der Einsamkeit von Kindern könnte wenigstens etwas entgegengewirkt werden.

Der Schutz der Kolleg*innen sowie Kinder und Jugendlichen an Schulen muss oberste Priorität haben-sowohl jetzt in der Notbetreuung als auch bei einer schrittweisen Öffnung von Schulen und Kitas. Dringend bedarf es eines Programms zur Ausstattung der Bildungseinrichtungen mit Luftfiltern sowie einer nachhaltigen Teststrategie für Schule und Kita. Mittels Poolbildung und Antigen-Spucktests ließe sich diese Teststrategie unkompliziert umsetzen. Lehrer*innen und Erzieher*innen müssen in der Impfreihenfolge prioritär behandelt werden und es muss rechtzeitig angefangen werden, die Gruppen von Schüler*innen freiwillig zu impfen, die vor dem Abschluss stehen. Israel macht es gerade vor und wird alle 16- bis 18-Jährigen impfen.

Jetzt müssen Überlegungen angestellt werden, wie mit freiwilligen Wiederholungen am Ende des Schuljahres umgegangen wird. Lehrer*innen, Schüler*innen und Eltern müssen vorbereitet werden. Schulen und Schulträger müssen sich auf diese Situation entsprechend einstellen.

Eine Perspektive brauchen wir auch für alle anderen Bereiche der Bildung. Kunst- und Musikschulen sowie Bibliotheken müssen jetzt eine Perspektive erhalten und technisch in die Lage versetzt werden, Unterrichtsformen entsprechend der Infektionslage anzubieten.

Ministerpräsident*innen, Bildungsminister*innen und Sozialminister*innen können jetzt zeigen, ob ihnen Bildung nach Corona auch wichtig ist. Sie können jetzt in Schulen und Kitas investieren, sie können jetzt anfangen, ausreichend Pädagog*innen auszubilden und einzustellen. Generell gilt, in allen gesellschaftlichen Bereichen aus der Pandemie zu lernen und die Erfahrungen in tragfähigen Kriseninterventionskonzepten festzuschreiben, die fortlaufend angepasst werden, denn die Lage ist dynamisch und wird auch vorerst dynamisch bleiben. Nur so kann es gelingen, eine langfristige, wirksame, solidarische Strategie zu entwickeln, die es der Gesellschaft ermöglicht, auch in Situationen wie dieser eine gewisse Normalität zu leben und dabei niemanden zurückzulassen.

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